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Lockdown: Österreich und die Corona-Krise

12. Mai 2020

Folgt ein Sturm der Ruhe?

Herr Dr. Manfred Pichelmayer, Geschäftsführer Fachgruppe Druck Wirtschaftskammer Wien und Niederösterreich hat mich schon vor Tagen gebeten – und ich bedanke mich für diese Einladung – einen Beitrag darüber zu schreiben, wie ich als langjähriger Branchenjournalist die Krise und deren Auswirkungen sehe und gelinde gesagt auch versuche zu verstehen. Mit dem Ergebnis der Einladung bin ich leider über mehrere Tage säumig. Warum? Das lässt sich so erklären: Ich bin am 4. März von einer Veranstaltung in München in unser polnisches Verlagsbüro nach Posen gefahren, um von dort nach Tel Aviv zu einer Pressekonferenz von HP Indigo anlässlich der drupa zu fliegen. Anschließend sollte es nach Heidelberg gehen, um dann wieder nach Posen zurückzukehren, da unser Verlag am 23. März die Art of Packaging Awards in Polen vergeben wollte. Ein normales Programm für einen Branchenjournalisten, der zugegebenermaßen Reisen liebt und das auch im Vorfeld von Messen wie interpack und drupa zum Job gehört. 

Was dann kam, wissen Sie genau so gut wie ich. Absagen, Absagen, Absagen und ja, auch Verschiebungen. Das Virus hatte Europa erreicht, für manche früher in der Auswirkung, für manche später in der Realisierung, wenn man dazu das Beispiel des britischen Premierministers Boris Johnson hernehmen darf, der sehr lange das Virus unterschätzt hatte und dann selber auf der Intensivstation landete. Oder auch die Tourismusverantwortlichen in Ischgl und Umgebung, die bis zum letzten Moment „abzocken“ wollten. Wenn der Bürgermeister von Ischgl nach wochenlanger Kommunikationsisolation am 23. März in die ZiB-Kamera blickt und meint, dass sein Ort nicht der Ballermann der Alpen sei, dann muss man lachen. Jeder weiß das, und jeder, der das möchte, fährt auch deswegen hin. Das wissen die Touristen und die Ischgler ganz genau… In der Winterhochsaison werden Millionen umgesetzt, wohl der Hauptgrund für das risikoreiche länger offen lassen der Partyzonen in Ischgl. Aus dem Kitzloch wurde leider ein Coronaloch. Eine Überheblichkeit, die man Europa generell im Umgang mit der Krankheit vorwerfen kann und Menschenleben gekostet hat. 

Schweizer Reflexionen – das überhebliche Europa

Das „hochentwickelte“ Europa hat beim Coronavirus eine gewisse Überheblichkeit an den Tag gelegt. Dazu darf ich den Schweizer Arzt Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Robert Vogt zitieren, der in der Schweizer Zeitung „Die Mittelständische Zeitung“ einen bemerkenswerten Beitrag zum Umgang mit dem Coronavirus geschrieben hat. Der Autor ist mit seiner „EurAsia Heart – A Swiss Medical Foundation“ seit mehr als 20 Jahren in EurAsien tätig, hat fast ein Jahr in China gearbeitet und seit 20 Jahren eine kontinuierliche Verbindung zum „Union Hospital of Tongji Medical College/Huazhong University of Science and Technology“ in Wuhan, wo er auch eine seiner vier Gastprofessuren in China habe. Er weist in seinem Beitrag darauf hin, dass es schon im Jänner, Anfang Februar signifikante Anzeichen für eine Pandemie gegeben hat. Auch die WHO hat meiner Meinung nach spät reagiert, wohl aus Angst davor, dass wieder ähnliches passiert wie bei der Schweinegrippe, wo man eine Pandemie proklamiert hat, die dann nicht stattgefunden hat. 

So kritisiert Paul Robert Vogt auch den mangelnden Umgang mit den Informationen, die zur Verfügung standen: „Die dargelegten Fakten entstammen wissenschaftlichen Arbeiten, welche ein ‚peer-review‘ durchlaufen haben und in den besten medizinischen Zeitschriften publiziert worden sind. Viele dieser Fakten waren bis Ende Februar bekannt. Hätte man diese medizinischen Fakten zur Kenntnis genommen und wäre man fähig gewesen, Ideologie, Politik und Medizin zu trennen, wäre die Schweiz heute mit großer Wahrscheinlichkeit in einer besseren Lage: Wir hätten pro Kopf nicht die zweitmeisten Covid-19-positiven Leute weltweit und eine bedeutend kleinere Zahl an Menschen, welche ihr Leben im Rahmen dieser Pandemie verloren haben. Zudem hätten wir mit großer Wahrscheinlichkeit keinen partiellen, unvollständigen ‚Lockdown‘ unserer Wirtschaft und keine kontroversen Diskussionen, wie wir hier wieder ‚herauskommen‘.“

Diese Argumentation lässt sich auch sehr gut auf andere Länder Europas und die Gemeinschaft übertragen. Beim Umgang mit dem Coronavirus haben sich wieder die Schwächen gezeigt: Jedes Land hat seine eigene Strategie. Besser wäre wohl eine europäische Strategie, die je nach Intensität von Ausbrüchen regional oder lokal angepasst werden kann. Ebenso verweist Vogt auf die Tatsache, dass die Pandemie angekündigt war. Er fragt berechtigt und wieder stellvertretend für alle Länder: „War die Schweiz minimal auf diese Pandemie vorbereitet? Nein. Hat man Vorkehrungen getroffen, als Covid-19 in China ausgebrochen ist? Nein. Hat man wissen können, dass eine Covid-19-Pandemie über die Welt ziehen wird? Ja, sie war angekündigt, und die Daten lagen bis März vor.

SARS war 2003 und MERS war 2012. 2013 hat der Deutsche Bundestag Katastrophen-Szenarien diskutiert: Wie bereitet sich Deutschland auf Katastrophen, z.B. Überschwemmungen vor. In diesem Rahmen wurde auch diskutiert, wie Deutschland auf eine zukünftige SARS-Pandemie reagieren muss. Ja, im Jahre 2013 hat der Deutsche Bundestag eine SARS-Corona-Pandemie in Europa und Deutschland simuliert. In 2015 wurde eine experimentelle Gemeinschaftsarbeit von Forschern aus drei US-Universitäten, Wuhan und einem italienischen Forscher aus Varese, der in Bellinzona ein Labor hat, publiziert. Diese produzierten synthetisch hergestellte Coronaviren im Labor und infizierten damit Zellkulturen und Mäuse. Grund der Arbeit: Man wollte einen Impfstoff, respektive monoklonale Antikörper produzieren, um gegen die nächste Corona-Pandemie gewappnet zu sein.

Ende 2014 hatte die US-Regierung die Forschung an MERS und SARS wegen der Gefährlichkeit für Menschen für ein Jahr ausgesetzt. 2015 hielt Bill Gates eine weit beachtete Rede und meinte, dass die Welt auf die nächste Corona-Pandemie unvorbereitet sei. 2016 erschien erneut eine Forschungsarbeit, die Aufmerksamkeit verdient, denn es handelt sich hier um die perfekte Beschreibung dessen, was aktuell abläuft: „Focusing on SARS-like CoVs, the approach indicates that viruses using the WIV1-CoV spike protein are capable of infecting human alveolar endothelium cultures directly without further spike adaptation. Whereas in vivo data indicate attenuation relative to SARS-CoV, the augmented replication in the presence of human Angiotensin-Converting-Enzyme Typ 2 in vivo suggests that the virus has significant pathogenic potential not captured by current small animal models.” 

Im März 2019 wurde in der epidemiologischen Studie von Peng Zhou aus Wuhan gesagt, dass u.a. aufgrund der Biologie der Coronaviren in den Fledermäusen („bat“) in China vorausgesagt werden kann, dass es in Kürze eine erneute Corona-Pandemie geben werde. Mit Sicherheit! Man könne nur nicht genau sagen, wann und wo, aber China werde der Hotspot sein. Im Prinzip waren das, so Vogt, 8 konkrete, deutliche Warnungen innerhalb von 17 Jahren, dass so etwas kommen wird. Und dann kommt es tatsächlich. Im Dezember 2019, neun Monate nach Peng Zhou’s Warnung. Und die Chinesen informierten die WHO, nachdem sie 27 Patienten mit atypischer Pneumonie ohne Todesfall gesehen haben. Noch am 31. Dezember 2019 beginnt die Reaktionskette von Taiwan, die aus insgesamt 124 Maßnahmen bestand – alles bis zum 03. März 2020 publiziert. Und nein, es wurde nicht auf Taiwanesisch-Chinesisch in einer asiatischen medizinischen Zeitschrift publiziert, sondern unter Mitarbeit der University of California im „Journal of American Medical Association“. Das Einzige, was man tun musste: ab dem 31. Dezember 2019 „bat + coronavirus“ in „PubMed“, der U.S. National Library of Medicine, eingeben, und alle Daten lagen vor. Und man musste nur die Publikationen bis Ende Februar 2020 verfolgen, um zu wissen, was auf uns zukommt und was zu tun ist.

Auf gut Wienerisch „Hammas verschlafen?“ oder eine „Wuhan is weit weg“ Mentalität an den Tag gelegt? Ich würde meinen, ja. Bin ich doch selbst noch im Jänner und Februar locker in Europa hin und her geflogen. In Österreichs Skigebieten herrschte Tourismus pur und in Wien beispielsweise noch 100 Prozent Ballsaison. Und Vogt schreibt weiter: „Uzbekistan hat im Dezember 2019 ihre 82 Studenten aus Wuhan zurückbeordert und alle in Quarantäne gesteckt. Am 10. März habe ich von Uzbekistan aus, weil ich nach meiner Meinung gefragt worden war, die Schweiz gewarnt: Parlamentarier, Bundesrat, BAG, Medien…“ Und nach all den Warnungen wurde nicht viel gemacht. Österreich begann seine Grenze nach Italien zu schließen und andere Länder folgten. Wie kann es sein, dass eine gemischt Amerikanische-Chinesische Autorenschaft am 06. März im „Science“ publiziert, dass nur eine kombinierte Grenzschließung und eine lokale Ausgangssperre effektiv sind, dann aber die Verbreitung des Virus um 90 Prozent einzudämmen vermögen – das BAG und Bundesrat aber mitteilen, dass Grenzschließungen nichts bringen, „weil sich die meisten sowieso zu Hause anstecken würden“. Vogt ergänzt: „Ich will hier keine weiteren Punkte erwähnen. Klar sind zwei Dinge: die Pandemie wurde seit 2003 mindestens acht Mal angekündigt. Und nachdem ihr Ausbruch am 31. Dezember 2019 der WHO gemeldet worden war, hätte man zwei Monate Zeit gehabt, die Daten zu studieren und die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Taiwan zum Beispiel, dessen 124 Maßnahmen früh publiziert worden sind, hat am wenigsten Infizierte und Todesfälle und hat keinen „Lockdown“ der Wirtschaft durchführen müssen. Die Maßnahmen der Asiatischen Länder wurden aus politischen und diffusen Gründen als für uns nicht machbar qualifiziert. Einer davon: das Tracking Infizierter. Angeblich unmöglich, und das in einer Gesellschaft, die ihre privaten Daten ohne Probleme an iClouds und Facebook auslagert. Tracking? „Wenn ich jeweils in Tashkent, Peking oder Yangon aus dem Flugzeug steige, dauert es zehn Sekunden und Swisscom heißt mich im jeweiligen Land willkommen. Tracking? Nein, gibt es bei uns nicht. Hätte man sich besser orientiert, hätte man gesehen, dass gewisse Länder ohne rigide Maßnahmen ausgekommen sind. In der Schweiz hat man allenfalls semi-rigide oder gar keine Maßnahmen ergriffen, sondern die Bevölkerung im eigentlichen Sinne durchseuchen lassen. Rigidere Maßnahmen wurden zu spät ergriffen. Hätte man reagiert, hätte man vielleicht keine solchen Maßnahmen ergreifen müssen und könnte sich die aktuellen Diskussionen um einen „Ausstieg“ ersparen. Von den ökonomischen Folgen will ich gar nicht reden“, geht Vogt kritisch mit seinen Landsleuten um. 

Schreiben mit Abstand

Als ich begonnen habe diesen Beitrag zu gestalten gab es doch einige Überlegungen angesichts der Tatsache, dass sich doch täglich etwas ändert. Dazu die Frage, was erwartet man von mir? Im „Alles wird gut“-Modus mitheulen oder vielleicht meine Eindrücke wiedergeben? Wann wird der Beitrag veröffentlicht? Ist das, was ich schreibe, dann überhaupt noch aktuell? Genauso wie Kanzler Sebastian Kurz vor ein paar Tagen anmerkte, dass man sich de facto mit den aktuellen neuen Corona-Gesetzen ob derer rechtliche Relevanz nicht so stressen soll. Denn bis der Verfassungsgerichtshof das entscheidet, seien die Gesetze schon wieder obsolet und Österreich gerettet. Ob er da Recht behalten wird? Nachdem der Kanzler auch mit apokalyptischen Aussagen aufhorchen ließ, wäre auch hier eine gewisse Vorsicht angebracht. Experten gehen ja davon aus, dass es zumindest bis zu einer Impfung dauern wird, bis man Entwarnung geben kann. 

Entscheidung getroffen, ich wage den Versuch einer Bestandsaufnahme, spannend, da ich vieles derzeit aus der Distanz erlebe. Und es ist ohnegleichen eine interessante Erfahrung, ein Unternehmen in herausfordernden Zeiten so dirigieren zu dürfen. Dank der technischen Möglichkeiten, insbesondere der elektronischen Kommunikation, ist heute Vieles einfacher geworden. Vor 20 Jahren wäre so etwas nicht so problemlos zu lösen gewesen. 

Sorgen, Gedanken, Zwischentöne

Glauben Sie mir, ich mir derzeit auch genauso viel Sorgen um den Fortbestand unseres Verlagsunternehmens, wie viele andere Kleinst- und Kleinunternehmer, KMUs, Industriebetriebe bis hin zu unserer allseits geliebten AUA. Seit Jahren fliege ich mit „unserer“ Airline und genieße es, wenn man freundlich betreut, vor allem wenn man zuvor mit United Airlines oder ähnlichen Kollegen geflogen ist, bei den Service und Freundlichkeit schon einen Aufpreis hat. Für mich bedeutet AUA auch immer das Gefühl des Heimkommens. Meiner Meinung nach ist es wichtig, diese Gesellschaft zu erhalten, gehört sie doch zum Feeling des Landes. Ja, ja… sie merken schon „I am from Austria“

In der Tat trifft diese Krise wie ein Tsunami alles und jeden in diesem Land. Ein Runterfahren in diesem Ausmaß haben ältere Generationen eventuell noch erlebt und Jüngere schon gar nicht. Altpräsident Heinz Fischer hat im Gespräch in der ZiB Recht, wenn er meint, dass es eine ähnliche Situation 1986 mit Tschernobyl gegeben hat. Da musste auch über Ausgangsbeschränkungen über einen längeren Zeitraum entschieden werden. Aber diese Krise ist anders, sie ist nicht regional sondern grassiert weltweit. Und sie ist unterschiedlich zu den Krisen, die wir in den letzten Jahren erleben durften, wie die Öl- und Finanzkrisen und den internationalen Terrorismus. Das Coronavirus macht keinen Unterschied zwischen einem rabiaten IS-Kämpfer und einem armen Wanderarbeiter in China. Zuletzt ging es zumeist um die „Rettung“ des Finanzsystems und nicht um die Rettung von Menschen vor Ansteckung. Die Rettung unseres Finanzsystems wird uns eventuell wieder nach der Corona-Krise beschäftigen. 

Eine vernünftige Politik hat sich in einer solch außergewöhnlichen Situation auf das Wissen und Erfahrung von Spezialisten zu verlassen und Entscheidungen zu treffen, die für viele eine Überlebensfrage darstellen. Nicht nur für das eigene echte Leben, sondern ebenso in punkto Existenz. Ich finde, diese noch sehr junge Regierung hat das aus jetziger Sicht gut gemacht. Türkis/Grün hatte sich auf den Weg gemacht, und dann kam Corona. Konfrontiert mit den Vorgängen in Italien musste man sich beweisen, Krisenmanagement war und ist gefragt. Klar, nach fünf Wochen Schockstarre beginnen die Nörgler wieder zu jammern denn im Nachhinein weiß man es ja immer besser. Oder habe ich Unrecht?

Um es klar zu formulieren: Trotz der Vorwarnungen aus Asien waren Corona und die Krise dann doch schnell da, und es musste unverzüglich reagiert werden. In Österreich hat man früher begonnen ernste Maßnahmen umzusetzen, und wir stehen heute zurecht als Musterschüler da. Denn das Runterfahren der Wirtschaft und Unternehmen findet inzwischen praktisch weltweit statt und es ist mit Sorge zu beobachten, wie ein Virus die Welt in die Knie zwingt. Deswegen haben wir eine weltweite Krise und nicht nur ein „Osterfeuer“ in Ischgl. Die Welt, so wie wir sie kennen, wird sich von diesem Schock längere Zeit nicht erholen. Eine Krisenwelt, wie sie unterschiedlicher nicht sein kann. Um nur ein Beispiel zu nennen: Während in Österreich wieder mal auf hohem Niveau kritisiert und herumgenörgelt wird und wir im Grunde genommen stolz sein können auf eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, trifft diese Krise in starkem Ausmaß wieder die Armen und Ärmsten. Während sich das Virus in den Slums in Afrika, Asien und Südamerika ungehindert ausbreiten kann, Millionen von Wanderarbeitern unter menschenunwürdigen Bedingungen wieder in ihre Heimatorte und Heimatländer zurückkehren wollen, weil sie keine Arbeit mehr haben und damit ihre Familien nicht mehr ernähren können, diskutiert man hierzulande die Frage, wo „der Bartel den Most herholt“.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Es ist mir durchaus bewusst, dass es auch in Österreich jeden Menge Problemzonen gibt, aber der Vergleich zu anderen Ländern darf durchaus gestattet sein.

Ein Schock fürs Leben

Die Welt soll sich sogar von diesem Schock nicht erholen. Damit meine ich, dass die Erinnerung daran nicht schnell verblassen soll, auch wenn es vorbei ist. Diese Krise hat Grenzen aufgezeigt. Die Grenzen dessen, was wir unter globaler Wirtschaft verstehen, die Grenzen des Wachstums (immer wieder diskutiert) und die Grenzen unseres Handelns. Was wird passieren, wenn sich die Wirtschaft nach dieser Krise – die wohlgemerkt mehrmals angekündigt war – nicht mehr erholt? Haben wir dann die Grenzen des Wachstums erreicht? Was dann? Nur mit Vermehrung von Geld seitens der Institutionen wird es nicht getan sein, wenn die Menschen jetzt überlegen, dass die Kollektion vom letzten Jahr auch noch okay ist, ein neues Auto auch nicht unbedingt notwendig ist und das Treffen von Freunden im Schrebergarten (vielleicht auch dann mal ohne Maske) cooler ist? Was tun, wenn die Industrie, der Handel, das Leben nicht so anspringt, wie es die Wirtschaft so gerne möchte und wie wir ja schon in Asien sehen? Werden wir wirklich aus dieser Erfahrung lernen, eventuell andere Wege einschlagen und wenn ja, Konzepte dafür haben? Vermutlich werden sich manche Vorgänge vertiefen, wie etwa das Zurück zum Regionalen, Nachhaltigkeit oder die Achtsamkeit für österreichische Unternehmen und deren Produkte, um erste Pflänzchen als Beispiel zu geben. 

Die andere Variante der „Entschleunigung“ ist natürlich, dass nach der Schockstarre und dem „Wunden lecken“ der Run wieder beginnt. Denn, es soll ja alles wieder aufgeholt werden, was man durch Corona versäumt hat. Es wird nicht funktionieren, nicht nur was die Zahlen betrifft… Erholung kommt eventuell 2021 wieder und das mit einem gewaltigen Schuldenberg. Aber wollen wir das wirklich? Jeder darf und soll sich diese Frage stellen…

Krise sorgt für Veränderung

Wieder zurück an meinen Beobachtungspunkt im polnischen Posen: Ich habe selten in den letzten Jahren so intensive Gespräche wie in diesen Tagen geführt. Aus Schnelllebigkeit wurde Tiefenwirkung. Und ja, mehr direkte Kommunikation ist gefragt. Das vertrauensvolle Gespräch ist ein Wundermittel gegen Corona Depressionen oder aufkommende Leiden. Der Erfahrungsaustausch ist gerade jetzt ungemein wichtig, da dies hilft auch schwierige Situationen gemeinsam besser zu überstehen. Was mir auch noch aufgefallen ist: durch die Situation bin ich wieder zum „Fernseher“ geworden, sehe mir gerne die Nachrichten aus Österreich an und arbeite an meinem „Corona-Tagebuch“. 

Ich höre, dass die Europäische Gemeinschaft einen Billionen schweren Euro-Rettungsschirm aufbauen möchte, um einen „Wiederaufbau“ nach der Krise zu unterstützen. Für mich klingt Wiederaufbau immer nach Krieg und deswegen sollte man versuchen dieses Wort zu vermeiden. Viel besser wäre das Wort „Neugestaltung“ auf allen Ebenen. Man darf sich heute schon die Frage stellen, wer die Nutznießer dieser Gelder sein werden. Abgesehen von der Hilfestellung für Italien bin ich mir sicher, dass sich einige Länder schon in Position bringen, um „abzusahnen“. Europäische Länder wie Polen beispielsweise, die wenig bis gar nichts tun für das Überleben der Unternehmen im eigenen Land. Wenn Gelder von der EU kommen, wird es für viele Firmen in diesem Land zu spät sein. Ich denke jedoch, dass das Fließen von europäischen Hilfsgeldern von einer gewissen Rechtsstaatlichkeit abhängig gemacht werden soll, die man seit Jahren in Polen vermisst. Ebenso wie in Ungarn, wo der amtierende Premier per Dekret aktuell reagiert und in dieser Zeit vermutlich die letzten politischen Widerstandsnester in unserem Nachbarland platt macht. So ist das vorrangigste Ziel der aktuellen polnischen Regierung, die Präsidentschaftswahlen am 10. Mai durchzuführen, da man sich mangels eines entsprechenden Wahlkampfes wesentliche Vorteile dadurch erwartet. Risiken werden dafür bewusst in Kauf genommen, genauso wie der Umstand, dass man beginnt Lockerungen des Shutdown durchzuführen, obwohl die Zahlen in Polen nach wie vor nach oben gehen. Und die Kontrolle eines Verfassungsgerichtes hat man auch nicht zu befürchten, dieses hat man schon abgeschafft und begegnet den Klagen der EU für dieses rechtsstaatliche Desaster mit einer ziemlichen Ignoranz.

Sag JA zu A

Und nun kommt er endlich, der Blick auf Österreich. Und der ist – was das Management der Krise betrifft – durchaus positiv. Der Blick in andere Länder genügt, um zu sehen, dass es hierzulande gut zugeht. Es wird in Österreich vieles getan, um in erster Linie für die Gesundheit der Bevölkerung zu sorgen und ebenso die Wirtschaft in unterschiedlichster Form zu stützen. Es werden Hilfspakete geschnürt, die es in vielen anderen Ländern gar nicht gibt und Menschen schlichtweg um ihre Existenzen bangen. Was nicht heißen soll, dass man sich bei uns nicht auch Sorgen macht… nur die Schutzmöglichkeiten sind de facto ganz andere. Die USA beispielsweise mit einem Gesundheitssystem, das nur jene unterstützt, die das Geld dafür haben. Also, bitte nicht Weiterjammern auf hohem Niveau, sondern froh sein, dass es bei uns so abgeht. Klar passieren in so außergewöhnlichen Situationen Fehler. Kluge lernen daraus, nur die Dummen nörgeln und wissen es besser. Viele Menschen haben in den letzten Tagen gesehen und gespürt, was es bedeutet, eine Krise zu erleben. Da tut es gut, wenn man in einem Staat leben darf, der für Rückhalt und Sicherheit sorgt. Aber wie gesagt, außergewöhnliche Situationen verlangen außergewöhnliche Entscheidungen und da läuft naturgemäß nicht immer alles rund. 

Beachtenswerte Leistungen erbringen derzeit die Unternehmer in Österreich, denn sie halten durch. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es kaum eine Branche, die von dieser Krise nicht betroffen ist. Die Prognosen für das Wirtschaftsjahr sehen düster aus. Ein Minus von 5,2 bis knapp acht Prozent lässt uns erschauern. Automatisch kommt die Frage auf, wie wir das überleben werden wie man das schaffen soll? Trotz aller staatlichen Förderungen ist leider eine Pleitewelle zu erwarten. Der Kreditschutzverband von 1870 hat jüngst schon in einer Aussendung davor gewarnt. Wohl nicht ganz uneigennützig… gehört es doch zum ursächlichen Geschäftsgegenstand der Institution, Services rund um Insolvenzen anzubieten. „Aktuell sehen wir bei der Zahl der Insolvenzanträge eine Delle. Zwar ist es auch jetzt möglich, Insolvenzanträge einzubringen, doch die Unternehmen halten sich momentan zurück und evaluieren, welche Möglichkeiten der Rettungsschirm für sie parat hat“, so Mag. Ricardo-José Vybiral, MBA, CEO der KSV1870 Holding AG. „Zweifellos wird es aber ab dem Frühsommer zu einem deutlichen Zuwachs bei den Firmenpleiten kommen. Wie hoch dieser ausfallen wird, hängt auch stark davon ab, wann und wie rasch der heimische Wirtschaftsstandort wieder auf Normalbetrieb umstellen kann.“ Mit einer Steigerung der Unternehmensinsolvenzen von rund zehn Prozent – wie 2009 im Zuge der Finanzkrise – ist jedoch zu rechnen. Damals wurden 7.000 Unternehmen insolvent. Aber es gab keine Hilfspakete der Regierung mit Ausnahme für die Banken. 

Entscheidend ist dabei, in keine Schockstarre zu verfallen: „Unternehmen müssen jetzt deutlich proaktiver agieren als noch vor wenigen Wochen. Dabei spielt die Transparenz gegenüber Kunden, Geschäftspartnern und den eigenen Mitarbeitern eine zentrale Rolle“, so Vybiral.

Im Normalbetrieb sind Unternehmen verpflichtet, innerhalb von 60 Tagen eine Insolvenz zu beantragen, wenn Insolvenzvoraussetzungen wie etwa Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegen und zudem eine positive Zukunftsprognose nicht möglich ist. Diese Frist wurde nun auf 120 Tage ausgedehnt: „Die Idee ist grundsätzlich nicht neu, denn sie wurde bereits anlässlich des Jahrhunderthochwassers im Jahr 2002 umgesetzt. Dank dieser Maßnahme bleibt den gefährdeten Firmen in jedem Fall mehr Luft zum Atmen und mehr Zeit, um zu klären, ob eine Insolvenz aktuell tatsächlich der einzige Ausweg ist“, so Vybiral.

Was wir lernen wollen

Vom Grafiker, Designer, Papierhersteller und -händler bis hin zum Drucker und Weiterverarbeiter – um in unserer Branche zu bleiben – stellt sich die Zukunftsfrage. Übrigens auch für Verlage… Vor allem die wahrlich schon geforderte Druckindustrie wird mit dieser Krise in ihre nächste Krise gehen. Abgesehen von den normalen Fragen des Unternehmerlebens wie Liquidität, Finanzierung, Außenstände, Kundenkontakt, Konkursabschätzung etc. ist das, was jetzt passiert, eine weitere Umwälzung. Krisen beschleunigen bekanntlich Veränderungsprozesse, die man längere Zeit vor sich hergeschoben hat. Und das wird nun deutlich. Ähnlich wie bei der Digitalisierung der Arbeitsprozesse derzeit (Homeoffice, Videokonferenzen, virtuelle Pressekonferenzen) werden sich die Kunden der Druckereien noch mehr in die digitale Welt verlagern, denn sie lernen jetzt gelernt, wie das funktioniert. Gedruckt wir weiter werden, aber noch viel mehr nach Bedarf und Anspruch. Und da kommt natürlich der Digitaldruck ins Gewicht. Ich denke, dass diese Krise dem Digitaldruck noch mehr zum Durchbruch in Österreich verhelfen wird. Und die Großen der Branche werden überleben. Sorgen darf man sich um kleine und mittelständische Druckereien machen, denen derzeit das Geschäft vollkommen wegbricht. Da wird es wirklich wichtig sein, dass die Finanzhilfe ankommt. 

Was das eine Unternehmen vom anderen Unternehmen auch unterscheidet, ist der Umgang mit der Krise. Während die einen sich darüber Gedanken machen, wie sie ihre zugegebenermaßen schon passende Produktion für beispielsweise Corona-Produkte umrüsten können, verharren klassische Akzidenzdrucker in der Warte- bzw. Hoffnungsposition. Wobei natürlich jetzt – und ja, ich weiß, es klingt so easy – der richtige Zeitpunkt wäre sich zu überlegen, was man so alles ändern und verbessern könnte. „Spätestens jetzt ist es allerdings an der Zeit, sich als Unternehmer über die Zukunft Gedanken zu machen und entsprechend zu handeln. „Dabei geht es in erster Linie weniger um die Frage, in welcher Branche ich tätig bin oder wie groß mein Unternehmen ist, sondern darum einen konkreten Plan für die Zeit nach der Krise zu entwickeln. Etwa wie sehr ich mich weiterhin von Liefer- oder Produktionsketten abhängig machen möchte oder welche alternativen Geschäftsmodelle für mein Unternehmen funktionieren könnten“, so Ricardo-José Vybiral vom KSV. 

Jene Unternehmen, die diese Krise beinahe überhaupt nicht bzw. in einem wesentlich geringeren Ausmaß betrifft, sind die Verpackungs- und Etikettendruckereien. Diese arbeiten mit hoher Auslastung. Die einzige Sorge, die man hat, ist die Verfügbarkeit von Medien und Verbrauchsmaterialien. Das sehe ich übrigens derzeit auch von meinem Beobachtungspunkt in Posen so… die Verpackungsdruckereien sind hier voll… dreischichtig. 

Zeit – ein wertvolles Gut

So ist also für Unternehmer und ihre Unternehmen (uns eingeschlossen) nun der richtige Zeitpunkt gekommen sich hinzusetzen und „über die wirklich wichtigen Dinge des Lebens nachzudenken“, wie ein lieber Freund von mir sehr gerne zu sagen pflegt. Und das finde ich gut, denn diese Krise „zwingt“ uns zum Einhalten und Nachdenken über Beziehungen, Familie, Beruf, Karriere und Unternehmen. Es ist eine gute Zeit sich zu überlegen, was man daraus lernen kann, um erfahrener aus dieser Situation herausgehen. Was ist wirklich wichtig im Leben? Worauf kommt es an? Welche Wertvorstellung habe ich? Wo stehe ich und wo möchte ich hin? Mehr Zeit als jetzt hat man nicht, um solche Gedanken zu pflegen. Die Betonung liegt auf pflegen, denn unsere „Husch Husch- und Bussi Bussi-Gesellschaft“ ist anderes gewöhnt. Aber das können wir uns für die nächsten Monate sowieso „abschminken“. Es ist also eine gute Zeit, sich über neue Konzepte und Lösungen Gedanken zu machen und diese beginnen umzusetzen. Deswegen wäre es auch unglaublich cool, wenn unsere Banken das auch so sehen und Neuem auch in der Finanzierung eine Chance geben und nicht nur der Überbrückung. 

Ich weiß, Sie werden sich denken, die Formulierung „Jede Krise ist eine Chance“ klingt so fürchterlich abgedroschen. Mag sein, hat aber was. Denn eine Krisensituation „fördert“ Veränderung… etwas, was so viele ja nicht so gerne haben, weil es ja unbequem sein kann. Der Wechsel aus dem Normalen, Krisen „zwingen“ uns dazu, und das ist gut so. Es ist ähnlich wie bei einem Sprung in den kalten See frühmorgens. Zuerst die Überwindung des Kälteschocks, dann die Bewegung und wenn man aus dem Wasser kommt das Gefühl der Zufriedenheit. Und Sie wissen, was danach kommt, ein wunderbares Kribbeln… und genau dieses Kribbeln sollen – sofern das irgendwie möglich ist – wir alle nach dieser Krise verspüren. Denn es ist Zeit neue Wege zu gehen.

Ein Beitrag von Branchenjournalist Michael Seidl